Securitygewalt und institutioneller Rassismus bedrohen Schwarze Leben – Ehemaliger Bewohner des ANKER-Zentrum Bamberg reicht Verfassungsbeschwerde ein

Pressemitteilung / Bayerischer Flüchtlingsrat, Culture of Deportation & Justizwatch

16.06.2020

Der senegalesische Asylsuchende Sidi F. (Name geändert) wurde am 27. September 2017 von einer großen Gruppe von Sicherheitsdienstmitarbeitern in der damaligen Aufnahmeeinrichtung Oberfranken (AEO) Bamberg angegriffen und schwer misshandelt. Das Ermittlungsverfahren gegen die Wachmänner wurde ohne Ergebnis eingestellt. Im Februar 2020 hat Sidi F. nun Verfassungsbeschwerde erhoben mit dem Ziel, dass gegen die Angreifer Anklage erhoben und der Vorfall detailliert aufgeklärt wird. Das hatten die Staatsanwaltschaft Bamberg, die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg sowie das Bamberger Oberlandesgericht zuvor abgelehnt, obwohl umfassendes belastendes Beweismaterial gegen die Wachdienstmitarbeiter vorliegt. Sidi F. sieht sein Recht auf effektive Strafverfolgung verletzt, das sich aus der Verpflichtung des Staates ergibt, Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen.

Am Abend des 27.09.2017 untersagt ein Sicherheitsdienstmitarbeiter Sidi F. und einem ihn begleitenden Freund, ein Stück Brot aus der Kantine des ANKER-Zentrums mitzunehmen. Es kommt zu einem Streit. Dabei wird der Freund mit Pfefferspray angegriffen, danach fesseln Wachmänner die beiden Geflüchteten, bringen sie zu Boden und treten und schlagen auf sie ein. Etwa 30 bis 40 Sicherheitskräfte sind im Einsatz. Als die Polizei eintrifft, nimmt sie die beiden Asylsuchenden in Gewahrsam und verhört sie als Beschuldigte. Ihre Verletzungen werden nicht dokumentiert. Für Übersetzung wurde nicht gesorgt. Drei Wochen nach dem Vorfall erstatten jedoch zwei Whistleblower aus den Reihen der Security Anzeige gegen ihre gewalttätigen Kollegen. Die Bamberger Polizei ist nun gezwungen, den Vorwürfen nachzugehen. Die beschuldigten Wachmänner werden befragt. Gegen drei Hauptverdächtige ermitteln die Beamt*innen wegen versuchten Totschlags, gegen weitere wegen gefährlicher Körperverletzung. Obwohl die Angaben der Whistleblower und die der Geschädigten zu Schlägen und Tritten während des Übergriffs in weiten Teilen übereinstimmen, stellt die Bamberger Staatsanwaltschaft das Verfahren im August 2018 ein.

Der Angriff auf Sidi F. war kein Einzelfall in Bamberg. In dem heutigen ANKER-Zentrum etablierte sich im Sommer 2017 innerhalb des Wachdienstes ein sogenanntes „Sonderteam“. Dessen Mitglieder fielen immer wieder durch brutale, rassistisch motivierte Angriffe, insbesondere gegen Schwarze Bewohner*innen der Unterkunft, auf. Weder die Einrichtungsleitung noch die Firma Fair Guards haben bislang zu den Vorfällen Stellung genommen oder sich um Aufklärung bemüht. Berichterstattung und der öffentliche Druck haben dazu geführt, dass die Gewalt gegen Geflüchtete etwas zurückgegangen ist, doch zur Verantwortung gezogen wurde niemand. Die Regierung von Oberbayern verlängerte sogar den Vertrag mit der vielfach kritisierten Sicherheitsfirma. Auch Polizei und Staatsanwaltschaft haben es versäumt, ernsthaft gegen die gewalttätigen Wachmänner zu ermitteln. Dieses Klima der Rechtlosigkeit führt dazu, dass die Angriffe auf Asylsuchende sich fortsetzen.

„Es entsteht hier der Eindruck, dass die Behörden an einer Aufklärung kein Interesse haben und den Verletzten schlicht nicht glauben wollen. Für die Betroffenen muss es wirken, als seien sie Menschen ‚zweiter Klasse‘, deren Rechte man buchstäblich mit Füßen treten kann, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen“, so Benjamin Derin, der Rechtsanwalt von Sidi F.

Aino Korvensyrjä von Justizwatch ergänzt:

„Dass Schwarze Leben als weniger schützenswert angesehen werden, zeigt sich nicht nur bei Racial Profiling oder tödlicher Polizeigewalt, sondern auch im rassistischen Aufenthaltsregime. Wenn Geflüchtete in Lager gezwungen und abgeschoben werden, wenn brutale Gewalt gegen sie billigend in Kauf genommen wird, ist das Ausdruck von institutionellem Rassismus. Perspektivisch muss es darum gehen, nicht nur die Fälle von Wachdienstgewalt aufzuklären, sondern das Lagersystem abzuschaffen, das diese Gewalt systematisch hervorbringt.“

Kontakt:

Thomas Bollwein (Bayerischer Flüchtlingsrat), +49 17645848081

Aino Korvensyrjä (Justizwatch), +49 15773803774

 

Weiterführende Infos:

Taz 27.7.2020: Security-Gewalt in Ankerzentrum. Mitnichten ein Einzelfall 

RB 08.7.2020: Ankerzentrum Bamberg: Ermittlungen gegen Security-Chef

BR 08.05.2019: Gewalt-Vorwürfe gegen Sicherheitsdienst im Ankerzentrum Bamberg

Taz 4.06.2019: Lager der Einschüchterung. Gewalt durch Securities im Ankerzentrum

Der Spiegel 13.06.2019: “Wenn du meinen Freund noch einmal anfasst, töte ich dich!”

Haben Wachmänner in Bamberg mehrere Asylbewerber drangsaliert?

BR 13.09.2019: Neue Vorwürfe gegen Security-Leitung im Bamberger Ankerzentrum

BR 05.01.2020: Ankerzentrum Bamberg: Umstrittene Security weiter aktiv

Katharina Schönes: Bamberg-Security-Komplex. Verfassungsbeschwerde gegen staatliche Gleichgültigkeit 

Katharina Schönes: Vom Ankerzentrum in die Haft – Ein Prozess am Bamberger Landgericht zeigt, wie eng das rassistische Aufenthaltsregime und die Kriminalisierung von Geflüchteten zusammenhängen (a&k)

Aino Korvensyrjä, Security-Gewalt in Unterkünften für Geflüchtete (Antifa-Infoblatt 121)

Aino Korvensyrjä: Organisierte Kriminalität – Warum die Security-Gewalt in den bayerischen Lagern weitergeht (analyse & kritik, 640)

Hannah Schultes: Gefangen in Bamberg – Misshandlung, Kriminalisierung, Abschiebung – im Vorzeigelager der CSU werden Geflüchtete systematisch entrechtet (analyse & kritik 637)

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Video: Testimony of Oumar B. on violence by security guards in Bamberg

Aufruf zur Solidarität mit Aarona K. und Ndiame D. am 27.3.2018 – ehemalige Bewohner der AEO Bamberg

Bericht vom 1. Prozesstag gegen K. und D. 

Justizwatch & Culture of Deportation: Der Bamberg-Security-Komplex, Erklärung am 8.5.2018

Justizwatch & Culture of Deportation: Erklärung am 18.12.2018